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1980
- 2005 |
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1995 - Virgin und die Onkelz
1995 erhalten die Onkelz für 250.000 verkaufte Exemplare der
"Heilige Lieder" ihr erstes Gold. Ebenso schießt die aktuelle
'95er Veröffentlichung auf dem Virgin Label ohne große Probleme
von null auf sechs in den Top 100 Longplay der Media Control
Charts. Der Handel ist gespalten, wie nie zuvor. Allen voran,
die Ladenkette WOM (World of Music), die die Böhsen Onkelz
massiv boykottieren und auch zum öffentlichen Boykott in der
Branche aufrufen. WOM veröffentlicht in seinem WOM-Journal einen
"offenen Brief" an Stephan Weidner, in dem die Geschäftsleitung
der Band vorwirft, "aus den Sünden von einst" Kapital zu
schlagen, ohne diese "Sünden" genauer zu beschreiben und nimmt
der Band den Wandel ohne Namensänderung nicht ab. |
Frankfurt 1995 |
In den Chartregalen bei WOM werden alle
Interpreten eine Position nach oben geschoben, damit es den Kunden nicht
auffällt, daß es dort in den TOP TEN ein freies Feld gibt und man
womöglich neugierig werden könnte. Udo Lange, Geschäftsführer von Virgin
Records und angesehener Mann in der Branche, muß sich im Wochentakt in
Radio- und Presseinterviews für seine Entscheidung rechtfertigen, die
Böhsen Onkelz unter Vertrag genommen zu haben. "Schockierende
Uninformiertheit", so bezeichnet er den allgemeinen Wissenstand der
Musikindustrie bezüglich der Böhsen Onkelz. Pressekonferenzen und
Händlerseminare werde gehalten, während derer Stephan und Gonzo wie die
Kamele ihre eigene Historie erklären und wiederkäuen müssen. Das hindert
die Presse nicht daran, die Band weiterhin als verruchte und berüchtigte
"Nazi-Kombo" zu bezeichnen. Immer und immer wieder werden den Lesern die
pawlowschen Köder "Türken raus" und "Deutschland den Deutschen" von 1983
vorgeworfen, ohne dass man sich auch nur ansatzweise mit der
Bewusstwerdung der Band auseinandersetzt, oder ihre Songs analysiert.
Bereits 1993 hatten die Böhsen Onkelz in Geiselwind ein "Rock gegen
rechts" Konzert organisiert und dem dortigen Bürgermeister einen Scheck
über 8000,--DM zur Ausgabe für die Jugendarbeit überreicht. In Bremen
hatte man im Oktober '93, zusammen mit dem DGB und der grünen
Abgeordneten Helga Trüpel eine Veranstaltung gegen rechte Gewalt
organisiert, gesponsert und finanziert. Ebenso fließen Geld- und
Sachspenden in den Kosovo.
Alle diese Dinge werden nicht nur nicht erwähnt, sondern man macht sie
vielmehr zum Teil der Gegenargumentation. Die Onkelz seien eine
"hinterhältige Nazi-Band", die sich nur verstelle und die diese Dinge
nur unter marketingtechnischen Gesichtspunkten mache, um dem Image des
Underdog, der Unverstandenen zu entsprechen. Dass es in den Köpfen der
Musiker ganz anders aussieht, und dass es der Band im Prinzip egal ist,
was über sie geschrieben wird, machen die Songs aus dieser Zeit
deutlich. Der Musiksender Viva drängelt und bettelt, um eine groß
angelegte Dokumentation im Viva-J am Format in den Räumen des B.O.
Management aufnehmen zu dürfen. Nach langem hin und her willigt die Band
ein. Kameras werden aufgebaut, die Band und das Management werden
interviewt. Intelligente Fragen und intelligente Antworten. Zwei Tage
vor der Ausstrahlung entscheidet die Programmleitung, dass der Bericht
zu positiv ist und kippt die Sendung. Wertvolle Informationen werden
nicht gesendet. Wie sich später noch häufiger zeigen wird, scheint das
eine gängige Praxis zu sein.
Ein Open Air Konzert in der Waldbühne Nordheim bringt 8000 Onkelzfans
zusammen. Grund genug für die Göttinger Presse von einem
"Alt-Nazi-Treff" zu sprechen. Dieser und ähnliche Artikel sorgen dafür,
daß die Onkelz von nun an mit ihren Anwälten gegen jede Redaktion
vorgehen, die die Böhsen Onkelz als "Nazis" bezeichnet oder in irgend
einer Weise schlampig recherchiert und somit die Band weiterhin in die
rechte Ecke drängt.
Und noch mehr Statements der Onkelz
Frage: "Hattet ihr auf dieser Tour eigentlich noch Ärger mit
Rechtsradikalen?"
Stephan: "Ärger gab es so bei jedem zweiten, dritten Konzert. Da fielen
versprenkelt ein paar Leute auf. Die wurden dann der Halle verwiesen.
Wer sich schon vorher als Nazi zu erkennen gab, kam natürlich gar nicht
erst rein. Ich weiß auch nicht, was in deren Köpfen vor sich ging, aber
wer seine Tarnkappe runterließ, flog aus der Halle."
aus: "Metal Hammer" März 1995
Stephan: "Die Motivation, die Songs zu schreiben, hatte allerdings
nichts damit zu tun, dass wir nationalsozialistische Ideologien
vertreten haben. Wenn ich die Songs heute gemacht hätte, würde ich die
Sache auch komplett anders sehen und hätte für die ganze Aufregung
vollstes Verständnis. Wenn man, nach allem, was in Mölln, Solingen,
Rostock und sonst wo passiert ist, heute so einen Text schreiben würde,
hätte ich dafür kein Verständnis und würde wahrscheinlich auch meine
Konsequenzen daraus ziehen."
aus "Metal Hammer", September 1995
Frage: "Sind denn Rockmusiker potentiell doch geistige Verführer,
Kopfverdreher?"
Stephan: "Diese geistige Verführung ist einfach eine Auflehnung gegen
bestehende Dogmen, vor allem gegen diese Verlogenheit. In die Richtung
will ich die Leute gerne verführen."
Frage: "Schließen Sie aus, über das Faszinosum Rock früher auch
rechtsradikales Gedankengut in Köpfe transportiert zu haben?"
Stephan: "Ich kann behaupten, dass wir nie Interesse hatten an
Nationalsozialismus, an Parteien, an Emblemen aus der Zeit von 1933 bis
1945. Hatten wir indirekt eine politische Aussage in unseren Texten, war
uns die nicht so bewusst. Was wir besungen haben, war eigentlich eine
ziemlich dumme Reflexion dessen, was uns widerfahren ist. Jeder wird
anders groß, hat andere Erfahrungen. Manchmal sagt man etwas, daß man
später bereut. Entwicklung muss einem zugestanden werden."
aus "Berliner Zeitung" 12.10.1995
Frage: "Haben sich die ONKELZ gewandelt, auch wenn Ihr den Namen
nicht geändert habt?"
Gonzo: " Es hieß ja immer: "Die waren früher rechtsradikal und sollten
ihren Namen ändern, um dieses Kapitel abzuschließen.? Für mich wäre eine
Namensänderung auf jeden Fall ein Schuldeingeständnis. Weder waren wir
früher rechtsradikal, noch waren wir für eine politische Partei
unterwegs."
Frage: "Ihr wollt also nur Beispiel sein und nicht führen?"
Stephan: "Kein Mensch sollte irgendjemandem folgen, man soll ja auch
nicht die Schwäche anderer ausnutzen, indem man sie irgendwo hinführt
und für seine Ziele missbraucht. Das einzige was wir zu bieten haben,
ist, dass wir gnadenlos offen legen, was in uns vorgeht und den Kids
zeigen, dass sie nicht alleine sind. Wir haben genug Schlägereien
gehabt, um davon reden zu können."
Frage: "Könnt Ihr wenigstens Ratschläge geben?"
Stephan: "Sicherlich, denn wir haben natürlich erkannt, dass nicht
derjenige, mit dem wir 'ne Schlägerei hatten, daran Schuld war, daß
diese Schlägerei zustande gekommen ist. Das Problem steckt oft in einem
selbst. Signalisiere ich Gewaltbereitschaft, werde ich auch Gewalt
empfangen."
aus "Siegener Zeitung", 14.10.1995
Stephan: "Nazis sind feige Schweine. Ich bin doch kein
Adolf-Hitler-Fanatiker. Eine neue Diktatur brauchen wir bestimmt nicht!"
Weidner-Statement Mitte der 80er,
nachzitiert in: "Taz", 17.10.1995
Stephan: "Da gibt es nix zu beschönigen: Wir waren
ausländerfeindlich, aber das hatte nichts mit Politik zu tun. Irgendwann
ist es müßig, sich 13 Jahre für diese kindische Scheiße von damals zu
rechtfertigen. Und ich find' es beschissen, in einem Atemzug mit diesen
kranken Solinger Idioten genannt zu werden."
aus "Stern", 26.10.1995
Frage: "Viele wissen bis heute nicht, wodurch die ONKELZ
seinerzeit ins Kreuzfeuer der Kritik geraten sind. Wie seht ihr selbst
das?"
Stephan: "Nun, wir haben Anfang der 80er Jahre als Punkband zwei Titel
aufgenommen, die ausländerfeindliche Texte hatten. Die sind allerdings
nie auf Platte erschienen, sondern haben nur als Demoband existiert.
Zwischenzeitlich haben wir insgesamt neun Alben veröffentlicht, die
"Altlast" Mitte der 80er auch in der deutschen Presse aufgearbeitet und
dachten, wir wären damit aus dem Schneider. Als dann einige Jahre später
die ausländerfeindlichen Krawalle losgingen, hat die Presse einfach die
alten Titel genommen und in die 90er Jahre transportiert. Dass sich die
Band um 180 Grad gewandelt hat und sich für die "Jugendsünden" mehrmals
öffentlich entschuldigte, interessierte von da an keinen mehr."
aus "Tiroler Tageszeitung", 31.10.1995
Stephan: "Überhaupt hat doch jeder extreme Nazi kapiert, dass wir
ihm keinen Boden bieten. Klar, dass die uns jetzt als `linke Verräter`
titulieren. Aber damit fühle ich mich wesentlich wohler, als wenn ich
von denen Akzeptanz verspüren würde."
aus "Musik Express/Sounds" November '95
Gonzo: "Vielleicht gelingt's uns in Zukunft, dass die ONKELZ
nicht automatisch in einen Topf mit Rechtsradikalismus geworfen werden."
aus "Break Out", November 1995
Frage: "Wie hat sich denn die rechte Szene deiner Meinung nach
entwickelt?"
Stephan: "Ich beobachte den Rechtsradikalismus aus der Distanz. Sicher
gibt's im Untergrund genauso viel Nazis wie eh und je, nicht mehr und
nicht weniger. Von Zeit zu Zeit machen diese Dummköpfe mit gewaltsamen
Aktionen auf sich aufmerksam, und dann verschwinden sie wieder im
Untergrund. Die paar Dummköpfe, die da draußen rumlaufen und
irgendwelche Aktionen starten, sind nichts anderes als Handlanger, die
nicht merken, dass sie für politische Zwecke eingespannt werden. Mir hat
es schon damals an der Skinhead-Bewegung gestunken, dass irgendwann jede
Scheiß-Nazipartei meinte, Skins für ihre Zwecke rekrutieren zu müssen -
und damit bei einigen Vollidioten auch noch offenen Türen eingerannt
hat. Diese Schlägertrupps müssen endlich aufwachen und etwas für ihren
Scheißgrips tun."
aus "Rock Hard" November '95
Frage: "Wie steht Ihr heute zu eurer Vergangenheit?"
Stephan: "Keiner von uns hat Lust, für einen Haufen Rechtsradikale zu
spielen. Wer Randale macht, fliegt raus. Für die rechtsextremen Neonazis
sind wir längst zu linken Verrätern geworden, und das ist mir ganz recht
so." aus "Badisches Tageblatt" Baden-Baden
, 4.11.1995 |